top of page

Herr der Muscheln

Auf den Bahamas reichen sich James Bond und der weiße Hai cineastisch Hand und Flosse. In den flachen Gewässern der Karibik spielt sich aber noch etwas weit Spannenderes ab

 

von Cristo X. Kambouris

Conch! An jeder Ecke Nassaus begegnet einem die Königin der Muscheln, die eine hollywoodeske Geschichte zu erzählen weiß. Von den inneren Werten einer Meeresbewohnerin, der Fragilität ihres Äußeren bis hin zur Galionsfigur der Küche einer Nation.

Mal als Burger, meist frittiert, magnifique als Salat. Eine Muschel als Wundertüte? Das Verschlossene verlangt nach Öffnung. Das Werkzeug dazu: Katamaran, Schnorchel, Maske, Flossen. Das Forschungsgebiet: der Grund der Karibik. Ein Jagdprotokoll:

Der Tag beginnt mit Wasser. Von oben. Wie bei einem gigantischen Regenschirm sind die Segel des Einmasters eingerollt, die Motoren schnaufen. Der Horizont schaukelt betrunken. Selbst dem wie Odysseus am Bug gefesseltem Stand-up-Paddelboard wird schlecht. Es entbehrt sich seiner Knoten und stürzt in die Fluten. Board über Bord. Beidrehen. Ein Zeigefinger permanent auf das Treibgut gerichtet. „Seemanns-Rettungmanöver“: Der Bootshaken verbiegt sich. Er bricht.

Den halbierten Lebensretter in die Luft streckend erntet die Landratte den grimmigen Blick Captain Lloyds. Winzige Gewitterwolken brauen sich über seiner Schiffermütze zusammen. Mit halben Haken, doch ganzer Kraft hieven wir das Board an Deck.

Der Sturm ist vorbei. Kaum hat die Sonne die Wolkendecke durchbrochen, verwandelt sie den Ozean in ein überdimensionales Aquarell. Türkise Wasserfarben verlaufen in azurne, inmitten dunkler Töne mischen sich helle Farbtupfer. Sandbänke bilden beige Kontraststreifen.

Captain Lloyd entwischt ein Lächeln durch den grau-gesprenkelten Bart. Er wirkt wie die schwarze Version von einem Käpt'n Iglo, der zu gerne seine eigenen Fischstäbchen nascht. „Excuse, everthing ok? Over.“ knarzt das Funkgerät. „Excuse“ ist dabei keine Höflichkeitsformel, es ist der Spitzname des Skippers. „Eine Haut aus Lüge, umhüllt die Vernunft“ ist des Captains poetische Definition für (s)eine Ausrede. „All good. Over.“

Am Love Beach – nicht unweit von hier – wurde die Einstiegsszene von „Der weiße Hai“ gedreht. „Jaws“, der Originaltitel des Films, beißt sich mehrmals durch Captain Lloyds Stimmbänder. John Williams Filmmusik gleitet wie das Raubtier metaphorisch durch die Luft. Instinktiv, unerbittlich, unaufhaltsam. Falls uns beim Conch-Tauchen einer begegnet, sollen wir ihn auf den Rücken drehen. Er verfalle dann in Schockstarre. Seemannsgarn. Tipps von einem, der in jeder freien Minute „Stargate“ auf seinem Tablet Binge-watched und nur im Internet zu surfen weiß. Sein wasserdichtes Argument: „Kennst du einen schwarzen Olympiaschwimmer?“ „Excuse“ ergibt endlich Sinn.

Wir nehmen das Dingi.

Captain Lloyd vertreibt uns die Zeit mit Erzählungen von Zitronen- und Schwarzflossenhaien. Er lacht. Nur er.

Der erste Sprung ins warme Nass. Orientierungslosigkeit. Unten und oben verwirren sich zu einer blauen Melange. Nur ein Gedanke klar: Hai. Mein Fluch der Karibik. Panikattacke. Atmen. Ruhig atmen. Um einen herum ist nur Wasser. Simples Salzwasser. „Der weiße Hai“ wurde auf den Bahamas gedreht. Weg mit der Fiktion. Weg! Dann, eine Berührung. Ein Zucken. Das war's! Reflexartige Tritte. Befreiungsversuche. Hilflose. Endlich lässt es ab. Weit aufgerissene Augen blicken umher. Seetang …

Ablenkendes Erinnerungsvermögen, während ich den Meeresboden absuche: Ich tauche vor dem Great Guana Cay, eine vorgelagerte Insel vor einer Insel. Insgesamt 700 formen die Bahamas. 17 Hauptinseln – Festland, wie es die Bahamaer nennen. 35 bewohnte Cays. Ab 50 Menschen muss die Regierung eine Infrastruktur schaffen. Ein Archipel, auf dem sich Touristen zurück zum Reisenden wandeln. Inselhopping. Fortbewegen in der Luft, mit Jitney-Busen oder zu Wasser.

In eben diesem schnorchel ich an einem Riff entlang. Bunte Meeresbewohner kondolieren zwischen versenkten Grabsteinen von Tauchern, die jetzt bei den Fischen schlafen. Gänsehaut unter Wasser. Endstation Seesucht.

Doch nirgendwo eine Conch. Dieses wohlgeformte Muschelhorn, das Symbol der Ordnung in William Goldings „Herr der Fliegen“. Das Sprachrohr, welches bei Versammlungen die Macht des Rederechts erteilt.

Die Allzweckwaffe der bahamaischen Küche. Und nicht nur dieser. Neben einem kulinarischen, hat die Conch einen heroischen Teil zur Geschichte der Bahamas beigetragen. Als die Konquistadoren am Rande des Horizonts auftauchten, waren nur 40 Bahamaer auf dem Distrikt Harbour Island. Die Einheimische stellten Conchs auf Stöcke, Reihe um Reihe, Glied um Glied. Eine behelmte Armee – aus der Ferne betrachtet. Die Konquistadoren setzten Segel.

JAWS

Ich jedoch komme der Sache näher. Zwischen Seegrün und aufgewühltem Sandstaub blitzt etwas Weißes auf, etwas zart rosa schimmerndes. Mein persönlicher Heilger Gral der See. MEINE Conch. Als ich danach greife, ploppt ein blaues Fischlein gegen meine Tauchermaske. Es ähnelt der verwirrten Fischdame Dorie aus Disney's „Findet Nemo“. Ebenso verhält es sich. Nach einer Linkskurve geht es erneut auf Gefechtsstation. Den kleinen Angreifer auf den Rücken zu drehen flutscht nicht, eine Wischbewegung verschafft hingegen Zeit. Jetzt muss die Conch nur noch gegen ein letztes Seeungeheuer verteidigt werden. Ein Kampf der Titanen. Ein schwarzer Kraken, mit der Größe einer Untertasse, hängt ebenso sehr an ihr wie ich. Geschüttelt, nicht gerührt, und der letzte Tentakel löst sich von der Muschel. Sanft schwebt der Unterlegene zurück auf den Sand des Meeresbodens.

Wieder auf dem Katamaran. Es wirkt wie eine Befreiung, wenn der Kopf endlich aus dem Wasser heraustritt. An der Küste reihen sich puppenstubengleiche Häuser aus Zuckerguss. Pinke, Hellblaue und Cremefarbene. Der Strand leuchtet goldgelb, ertränkt im Rum einer Bahama Mama.

Dann ein Schatten. Über mir steht Captain Lloyd. Stolz wie ein Kind strecke ich ihm die Conch entgegen. Er schüttelt sein Haupt, der Tonfall ist unerbittlich: „Das ist noch ein Baby. Du musst sie dorthin zurückbringen, wo du sie gefunden hast.“ Poseidon hat das Meer salzig geschaffen, um einem seine eigenen Tränen nicht schmecken zu lassen. Ich bringe Conchy, so habe ich sie in den eineinhalb Minuten unseres gemeinsamen Lebens getauft, heim in ihre Welt. Augenblicklich schmiegt sich der Kraken um sie, umarmt einen Freundin, der auf ewig verloren schien. Auch „Dorie“ umkreist sie wieder. Home salty home.

 

Zurück am Bord klebt das Salz an der Haut, die Arme sind verbrannt von der Sonne. All das ist egal. Einen Moment lang hatte ich alles.

Ein kleines Trostpflaster für die See(le) bleibt: In Nassau verkaufen sie nicht nur das Innere der Conchs, auch ihre Hülle findet sich an der Hafenpromenade. Ein halbes Dutzend Händler reihen sich aneinander. Alle habe eins miteinander: Sie sind schwarz – und schwimmen trotzdem. Denn wo kein Llyod, da kein „Excuse“.

bottom of page